Mutterkorn

Claviceps purpurea Schlauchpilze

Bestimmungsmerkmale:
Der Mutterkornpilz ist ein Parasit, der  sich während der Gras- und Getreideblüte an der Ähre festsetzt, und entwickelt sich bis zur Reife zu einem 4 cm langen und etwa 3 mm breiten, blauschwarzen, kornähnlichen Gebilde. Das Mutterkorn ist wesentlich größer als ein Getreidekorn und daher recht auffällig.Der Mutterkornpilz siedelte sich vorwiegend im Roggen an und führte in früheren Zeiten, nach einem nassen Frühjahr und einem heißen, windigen Sommer zu Massenvergiftungen. Diese Vergiftungen trafen vorwiegend die ärmeren, ländlichen Bevölkerungsschichten, da die sich vornehmlich vom Roggen ernährten.

Standort und Verbreitung:
Der Pilz gedeiht vorwiegend am Roggen, ist aber auch an einigen Grasarten zu finden.

Giftstoffe, Wirkung und Symptome:
Mutterkorn enthält die stark giftigen Alkaloide Ergotamin, Ergotoxin und Ergometrin. Der Wirkstoffgehalt ist stark schwankend. Die Vergiftung beginnt mit Kribbeln in Fingern und Zehen, der Vergiftete leidet unter Durchfällen, Pupillenerweiterung und Durstgefühl. Da die Giftstoffe auf das Muskelgewebe wirken, kommt es zu starken Krämpfen und Lähmungen. Der Patient wird von heißen und kalten Schauern überfallen und muss unter starken Nervenstörungen leiden, die in Wahnsinnsanfällen gipfeln. Anfälle kehren wochen- und monatelang wieder und können stundenlang anhalten. Die Vergiftung kann soweit gehen, dass Gliedmassen brandig werden und amputiert werden müssen. Die betroffenen Arme und Beine können sogar ohne jegliche Blutung vom Körper abfallen. In vielen Fällen hat eine starke Mutterkornvergiftung auch zum Tod geführt. Vergiftungen mit dem Pilz sind heutzutage ausgesprochen selten.

Tiergiftig:
Pferde, Rinder und Kühe, Schafe sind gefährdet, wenn der Mutterkornpilz die Weidegräser befallen hat. Ein Vergiftungsverlauf dürfte ähnlich sein, wie beim Menschen.

Heilwirkung und Medizinische Anwendung:
Die im Mutterkorn enthaltenen Alkaloide werden bei der Geburtshilfe als Wehenmittel und nachgeburtlich als Mittel zum Blutstillen eingesetzt. Sie wirken selbst noch bei millionenfacher Verdünnung. Ferner finden sie Anwendung bei Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen, unregelmäßiger Herztätigkeit und bei Migräne. Aus den Wirkstoffen des Mutterkorns kann auch das stark halluzinogen wirkende LSD (Lysergsäurediäthylamid) hergestellt werden. Es zählt zu den stärksten Rauschmitteln und wirkt schon bei eine Dosierung von 0,05 mg. LSD kann nicht nur zu ekstatischen Rauschzuständen (Trips) führen, sondern ist auch in der Lage Wahn- und Angstzustände, sogenannte "Horrortrips" zu erzeugen. Ein LSD-Tip dauert mehrere Stunden an und kann sich ohne erneute Einnahme mit der gleichen Wirkung noch nach Tagen wiederholen.

Name:
Der Name Mutterkorn bezieht sich auf die Wehen der Frau, da die Inhaltsstoffe des Mutterkorn die Wehen anregen. Im Volksmund wurde es auch Wolfszahn, Krähenkralle, Brandkraut und Kornzapfen genannt. Der Gattungsname Claviceps weist auf die Form des Mutterkorns hin, der Artname purpurea auf seine Farbe.

Geschichtliches:
Mutterkorn hat in vergangenen Zeiten zu schrecklichen Massenvergiftungen geführt. Der auf dem Roggen wachsende Pilz konnte sich immer dann ausgedehnt verbreiten, wenn das Frühjahr nass und der Sommer heiß und windig waren. Roggen war damals, vor allem unter der armen ländlichen Bevölkerung, das Hauptnahrungsmittel. So wird in den Chroniken immer wieder von Mutterkornvergiftungen berichtet, die ganze Dörfer und Städte befielen und die Menschen unter dem "Antoniusfeuer", dem "Heiligen Feuer", dem "Höllenfeuer" und unter "Ergotismus" leiden ließen. Die ersten Berichte über eine wahrscheinliche Mutterkornepedimie stammen aus dem Jahr 857 n. Chr. aus Xanten. Es wird dort erst von einer Hungersnot berichtet und dann eine große Plage erwähnt, einer "abscheulichen Fäulnis, die Knochen der Betroffenen aufzehrt". Die Epidemien wurden meist als Gottesgericht und als reinigendes Feuer gedeutet, woher auch die oben genannten Namen rühren. Die Menschen der damaligen Zeit wussten freilich noch nichts vom Zusammenhang ihrer Krankheit und dem Genuss von verseuchtem Roggenmehl. Vielfach wurden die Massenvergiftungen, die sich oft in bizarren Wahnvorstellungen  zeigten, den  Hexen in  die Schuhe  geschoben,  was  Hexenverfolgungen und Verbrennungen nach sich zog. Die Mutterkornvergiftungen waren bis etwa 1600 verschwunden, tauchten aber dann wieder mit aller Macht auf. Im Jahre 1676 wurde das erste Mal auf eine Verbindung der Epidemien mit dem Mutterkornpilz hingewiesen. 1790 wurde die Landbevölkerung das  erste Mal von der deutschen Regierung über Mutterkornvergiftungen informiert, es wurden technisch verbesserte Dreschmaschinen eingesetzt und die Seuche so gut wie zum Verschwinden gebracht. Doch noch im Jahre 1927 brach eine weitere Epidemie über 11.000 russische Bauern aus. Die letzte schwere Massenvergiftung geschah im Jahre  1951 in Frankreich, der ca. 300 Menschen durch verseuchtes Mehl zum Opfer fielen. Die Betroffenen litten teilweise noch monatelang unter den immer wiederkehrenden Vergiftungserscheinungen. Das Mutterkorn wurde 1582 von Adam Lonitzer erstmals erwähnt. Ende des 17. Jahrhunderts führte es Camarus bei der Geburtshilfe ein. Dr. Albert Hofmann entwickelte im Jahre 1943 aus dem Mutterkorn das LSD.